Rückblick: August – November 2017 –
Bis zu meinem Termin bei Gastroenterologen hatte ich etwas Zeit mich mit dem Thema Zöliakie auseinander zu setzen.
Zöliakie ist eine Autoimmunerkrankung wie auch mein Hashimoto und die Multiple Sklerose. Das bedeutet, dass körpereigene Abwehrmechanismen den eigenen Körper attackieren. Bei Hashimoto wird das Schilddrüsengewebe abgebaut. Bei Multiple Sklerose die Schutzschicht um die Nervenzellen im Gehirn und bei Zöliakie kleine Darmzotten die nötig sind um wichtige Nährstoffe aus der Nahrung auf zu nehmen. Dieses Abbauen von den Zotten wird durch glutenhaltige Lebensmittel ausgelöst. Also Getreidesorten wie Weizen, Roggen, Gerste, Dinkel oder Grünkern.
Dummerweise ist bei Zöliakie kein Pardon erlaubt. Gluten muss, wenn die Krankheit nachgewiesen ist komplett und zu 100 % vertrieben werden. Kein kleinstes Spurenelement geht in Ordnung. Der Toaster in unserer Küche ist kontaminiert und nicht mehr nutzbar. Jedes Brettchen, jede Küchenmaschine muss ausgetauscht werden. Essen gehen mit Freunden geht nur, wenn man sein eigenes Essen mit bringt oder die Küche garantiert, dass glutenfreie Speisen nicht in der gleichen Küche wie die für die anderen Gerichte oder unter strengsten Hygienevorschriften hergestellt wurden. Selbst eine Eisdiele ist nicht glutenfrei, da ja mit Eiswaffeln hantiert wird.
Zöliakiebetroffene können zahlreiche Symptome wie Blähbauch, Durchfall oder Verstopfung, Appetitlosigkeit, Muskelschwäche, Blässe, Blutarmut, Wassereinlagerungen, Müdigkeit, uvm… haben, die daraus resultieren, dass Gewisse Nährstoffe aus Lebensmitteln nicht mehr ausreichend gefiltert werden können. So wie beispielsweise ich mit meinem Vitamin B12. Ich kenne das Gefühl eines Blähbauches und auch so manche andere Symptome passen gut zu mir, allerdings hätte ich jetzt nicht behauptet, dass ich permanent und oft Zöliakie-Symptome verspüre. Es gibt allerdings zahlreiche Betroffene die keinerlei dieser Symptome haben und erst nach dem Gluten aus ihrem Leben verbannt ist merken sie, dass der Alltag besser zu bewältigen geht. Daher geht die Medizin auch von einer extrem hohen Dunkelziffer aus.
Außerdem, und das ist für mich entscheidend gewesen, kann Zöliakie zu Zyklusstörungen bis hin zum Ausbleiben der Regel führen. Das war auch der einzige Grund warum ich manchmal doch etwas daran gezweifelt habe, dass diese Untersuchung für mich Glimpflich ab läuft.
Die Endokrinologin hatte zwar in meinem Blut Antikörper nachgewiesen, das allein genügt jedoch nicht als Beweis, dass eine Zöliakie vorhanden ist. Aus diesem Grund musste ich zu dem Gastroenterologen. Dieser sollte eine Magenspiegelung vornehmen. Dabei werden mehrere Proben von Magen und Dünndarm genommen um zu schauen ob Zottengewebe abgebaut ist.
Ich einigte mich damals mit dem Arzt, dass wir die Magenspiegelung erst in 3 Monaten vornehmen. Ich hatte gelesen, dass man sich vorher „Normal“ Glutenhaltig ernähren soll, da sonst das Ergebnis verfälscht würde. Es ist bei mir jedoch so, dass ich grundsätzlich getreidereiche Lebensmittel einfach nicht oft auf meinem Speiseplan stehen habe. Ich mag Nudeln nicht sehr gern. Brot, Brötchen, Pizza usw. finden eigentlich kaum einen Weg auf meinen Speiseplan. Grundsätzlich liegt das daran, dass ich mich damit meist träge fühle oder ich mag viel davon einfach nicht. Durch das Clean Eating habe ich Weizen und stark verarbeitete Lebensmittel komplett verbannt (Außnahmen bei Fremd zubereitetem Essen). Also musste ich meinen Körper erst lange genug „belasten“ um ein aussagekräftiges Ergebnis bei der Magenspiegelung zu erzielen.
Normal viel Gluten, dass ist 10 – 20 g täglich. Das entspricht 4 bis 5 Scheiben Brot und zusätzlich andere glutenhaltige Lebensmittel. Bei aller Liebe zu Brot, das ist schon echt viel für mich. Und dann noch Nudeln usw. On Top. Ich führte also für 3 Monate Gluten in meinem Speiseplan mit ein. Meist hab ich mir mehrmals täglich Glutenpulver in einen Joghurt gerührt und das schnell runter gewürgt. Anders hätte ich die empfohlene Menge wohl nicht zusammen bekommen und so wusste ich sicher das ich das tägliche Soll erfüllt habe.
Außerdem nutze ich die 3 Monate um prophylaktisch Abschied zu nehmen. Ich nahm diesen Weg sehr entspannt, weil ich einfach nicht glauben wollte, dass ich diese Zöliakie habe, trotzdem erstellte ich mir eine Gluten-Erlebniss-Liste. Sie beinhaltete was ich gern noch mit Gluten erleben wollte. Viel davon hab ich selbst schon lange nicht mehr gemacht und ich bin mir auch nicht sicher gewesen ob das alles so tolle Ideen sind, aber bevor ich etwas einfach nicht mehr darf, wollte ich alles nochmal ausprobieren.
- mein Lieblings-Inder besuchen
- mit meinen Mädels Essen gehen
- Kino mit Nachos
- Bierverköstigung
- Die Mokkatorte wie Oma sie früher, als ich ein Kind war, für meinen Geburtstag gebacken hatte essen
- Pizza backen
- einen vor fett triefenden Pitateig „vom Glaspalast“ essen
- ein Stück Hochzeitstorte ergattern und „Fachkundig“ beurteilen
- Buffetfräse spielen bis ich platze
- ein Stadionbier trinken
- Weihnachtsplätzchen backen, naschen und verschenken
- Lebkuchen essen
- meine Freundin in München besuchen
- einen Eisbecher essen gehen
- warmer Apfelstrudel mit Vanillesoße
- einen Schokonikolaus essen – immer kleine Stücke auf Brot
- Schoko-Krossis
- Geburtstagskuchen von Arbeitskollegen naschen
Die Liste war eine gute Idee, so etwas sollte man sich öfter überlegen. Man beginnt Dinge zu Wertschätzen, die man als selbstverständlich an sieht. Außerdem habe ich mir so ein gewissen Zeitdruck verschafft und war genötigt teilweise lang aufgeschobene Dinge an zu gehen. Die Mokkatorte zu backen bedeutete beispielsweise, dass ich Omas Rezepte in altdeutscher Handschrift entziffert und aus Zeitungen ausgeschnittene Notizen durchforstet. Oma lebt schon lange nicht mehr.
Trotz der schönen aber auch eckligen Erlebnisse war ich nach den 3 Monaten im November froh, endlich diesen elendigen Gluten-Joghurt los zu werden.
Die Magenspiegelung lies ich ohne Betäubung machen, weil ich danach noch arbeiten fuhr und keine Betäubung wollte. Dann hätte ich nämlich einen Fahrer organisieren müssen. Grundsätzlich habe ich das Gluten-Thema eher geheim behandelt. Mein Freundeskreis hatte schon genug mit der MS zu tun bekommen, und all diese Rätsel die sich auf taten machten mich schon genug wahnsinnig. Ich wollte nicht meine Familie und Freunde verunsichern, wenn sich dann doch nach einigen Untersuchungen zeigt, dass es keinen Grund zur Sorge gab. Das Essen gehen mit meinen Mädels war beispielsweise nur für mich ein heimlicher forsorglicher Abschiedsprozess.
Dieses Herangehen bedeutete allerdings, dass ich mit vielen Untersuchungen, Verunsicherungen und auch der Angst oft allein zurecht kommen musste. Ich versuchte den Krankheitsthemen (nicht nur der Zöliakie) nicht so viel Gewicht in meinem Alltag zu geben, doch bei immer neuen Arztterminen und Untersuchungen ist es nicht lange möglich die Gedanken fort zu schieben. Immer wieder tauchten bedrückende Themen auf.
Das Ergebnis der Magenspiegelung hatte ich nach 3 Tagen in den Händen. Alles in Ordnung.
Erst bei meinem nächsten Termin 2018 mit der Endokrinologin erfuhr ich, dass es wohl nicht die letzte Magenspiegelung wegen Zöliakie für mich sein wird.
