Rückblick: Juli 2017 – Teil 1 –
Noch unmittelbar nachdem ich den Zusammenbruch überwunden hatte, hatte ich mich mit den verschiedenen angebotenen Medikamenten auseinander gesetzt. Ich durchforstete die Websides der Hersteller die mir die MS-Ambulanz genannt hatte und recherchierte die Nebenwirkungen. Ich wollte das kleinste Übel wählen und schaute in MS-Foren welche Erfahrungen andere MSler gemacht hatten.
Die Nebenwirkungen sind grauslig und ehrlich gesagt, macht die Medizin es einem nicht leicht mit dieser Auswahl. Ich hatte das Gefühl, dass ich allein mit einer unermesslich lebenswichtigen Entscheidung gelassen werde. Ich hatte eine so große Entscheidung zu treffen.
Nach langem grübeln und Verzweifelten bitten an meine Mitmenschen, was sie denn nehmen würden, niemand hat darauf antworten können, entschied ich mich für …
…erst einmal Urlaub machen.
Der lange geplante Motorradurlaub in Österreich stand an und ich freute mich auf frische Luft. Wir hatten sicherheitshalber umgeplant und fuhren nicht direkt mit den Motorrädern sondern verluden sie in einen Bulli und nahmen sie so quasi als Gepäck mit auf die Reise.
Der Urlaub tat mir gut. Wir wanderten viel und genossen die gemeinsame Zeit ohne viele Gedanken an die letzten Tage und Wochen zu verschwenden.
Zu Hause angekommen entschied ich mich fast spontan für ein Medikament, dass 1x in der Woche in den Muskel gespritzt wird. Im Grunde fand ich dieses schon bei der Medikamentenpräsentation in der MS Ambulanz am besten. So war die Entscheidung eher intuitiv. Ich wollte lieber nur 1x die Woche spritzen. Die Spritzen in den Bauch waren alle öfter in der Woche.
Ich hab einige gruselige Bilder gesehen, dass das Gewebe im Bauch Probleme bekommen und etwas lädiert sein kann.
Aber ganz ehrlich, die Nebenwirkungen sind sich sehr ähnlich und man entscheidet eher Not gegen Elend.
Für die Spritzen erhielt man eine gründliche Schulung und besonders am Anfang war von Nebenwirkungen aus zu gehen. Die häufigsten Nebenwirkungen auf die ich mich in jedem Fall einstellen sollte, waren grippeähnliche Symptome, wie das immer so schön zusammen gefasst wurde. Es wurde empfohlen, dass man Abends zu einer festen Uhrzeit spritzte und vor dem zu Bett gehen noch Schmerztabletten nahm, damit man das Fieber, die Kopfschmerzen, den Schüttelfrost, usw. verschlief.
Zu Beginn fing man mit einer niedrigen Dosis an. Zunächst 1/4. Das vertrug ich gut.
In den folgenden Wochen 1/2, dann 3/4 und ab der 4 Woche dann die volle Dosis. Da es diese langsame Steigerung nicht mit Injektionspen gab, musste ich zunächst mit einer “ganz normalen Spritze“ spritzen. Vor dem Schlafen nahm ich noch zwei Schmerztabletten, so wie es mir empfohlen wurde.
Ich nahm mir damals direkt vor diese schnell zu reduzieren, weil ich nicht vor hatte so viele Medikamente zu brauchen. Alles was ich nicht unbedingt brauchte, wollte ich los werden und ich hatte bei meinen Recherchen gelesen, dass es MS´ler gab, die auf die Schmerztabletten nach einer Eingewöhnungsphase verzichten konnten. Das trau ich mir auch zu.
Wie gesag: Ich bin tough.
Ich kam gut zurecht mit den Spritzen und drehte sogar für meine Geschwister und Eltern ein Video vom Injezieren.
Irgendwie dachte ich, dass die Diagnose erst mit dem Spitzen des Medikaments mehr Realität bekam. Mir ging es jedenfalls so und ich dachte, dass besonders meine Familie ein kleines bisschen Realität brauchen könnte.
Bei der vierten Spitze, der ersten vollen Dosis, traf ich beim Stechen eine Ader. Ich blutete stark und hatte ganz schön Sorge das Blut wieder auf zu wischen. (Ich befand mich zum Zweiten mal mit Verdacht auf einen Schub im Krankenhaus und hatte schiss, dass die Krankenschwester einen Großalarm auslösen würde, wenn sie das angerichtet Blutbad sah).
In der Nacht bekam ich das Erste mal zu spühren was diese grippeähnlichen Symptome unter HÄUFIGHÄUFIGSE NEBENWIRKUNG bedeutete. Ich zitterte am ganzen Körper während mir gleichzeitig unsagbar heiß war. Mir war kotzübel (entschuldigt) und mein Schädel drohte zu explodieren. Stundenlang harrte ich zitternd in Kauerstellung in meinem Bett und sendete Stoßgebete, dass es bald vorbei gehen würde…
Diese Nächte hatte ich noch einige male. Ich schrieb fleißig auf wie ich die Injektionstage verbrachte. War ich vorher joggen gewesen oder hatte ich Muskelaufbautraining gemacht? Hatte ich spät gegessen? Hatte ich viel Wasser getrunken wie es empfohlen wurde? Um wieviel Uhr war ich ins Bett gegangen, wann genau hatte ich die Schmerztabletten genommen und wann genau fühlte ich mich wie?
Ich suchte und suche noch heute Regelmäßigkeiten. An einige Erkenntnissen habe ich lange festgehalten und sie dann doch wieder über den Haufen geworfen. Mal hab ich Joggen am Abend der Injektion als schlecht ermittelt, dann wieder doch nicht.
Mal war ein Bier zum Essen eine grauslige Idee, dann ging ein Wein doch ganz gut. Viele der Erkenntnisse sind wohl Schwachsinn und einiges hab ich auch schon wieder in Frage gestellt, trotzdem hat mir das Beobachten geholfen.
Ich nehme mir für den Freitag nach der Arbeit möglichst wenig vor. Vorallem habe ich nämlich das Gefühl, dass es mir am besten damit geht, wenn ich entspannt die Woche ausklingen lasse.
Mir gibt es einfach ein gutes Gefühl, wenn ich gegessen habe, geduscht bin und entspannt auf der Couch sitze bevor ich spritzen gehe. Ob ich vorher ne Runde joggen war oder mir eine Fittnesseinheit gönne, oder ob ich bei der Massage einen Termin hatte spielt glaube ich keine Rolle, Hauptsache ich kann entspannt in den Abend starten.
Ich versuche besonders an Freitagen (mein Injektionstag) auf meinen Körper zu hören und keine langen To-Do-Listen auf dem letzten Drücker zu erledigen.
Chillig die Woche ausklingen lassen, das hilft mir!
